Die Liebe in Zeiten des Hasses -Chronik eines Gefühls 1929-1939

12.01.2022 Sybille Gruska

Buchbesprechung

Florian Illies analysiert anhand von Begebenheiten, im Plauderton erzählt, die zwischenmenschlichen Beziehungen von Künstlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den Dreißiger Jahren. Der locker-witzige Erzählstil mit Kommentaren aus einer Distanz von bald 100 Jahren versetzt den Leser dabei unmittelbar ins Geschehen. Man fühlt sich fast, als sei man Beobachter der Szene. Der Autor beschreibt sorgsam recherchierte Fakten, oft aus Tagebüchern und Briefen, ohne zu werten. Wenn er bewertet, dann sind es eher die Werke der Künstler, nicht ihr Verhalten. Am Ende einer Episode gibt es manchmal lakonische Kommentare, wobei die Wortwahl brillant und treffend ist.

Zum Ende der goldenen Zwanziger hat sich ein neues Lebensgefühl in der Boheme etabliert. Dazu gehört auch das mehr oder weniger öffentliche Ausleben homosexueller Neigungen, Drogenkonsum ist nichts Ungewöhnliches mehr. Alles ist vage, Beziehungen sind flüchtig und schnelllebig. Neben den Ehepartnern Geliebte zu haben, scheint keine Sensation zu sein, es sind Gepflogenheiten. Von Scheidungen wird berichtet, aber auch davon, dass Männer den Zustand der Ehe aufrechterhalten, weil es ganz bequem ist, die Ehefrau als gute Haushälterin zu haben und/oder die öffentliche Wahrnehmung des Ehemannes als ehrbar und treusorgend nicht gänzlich unwichtig ist. So wohnen manchmal die bevorzugten Bewunderer/innen der Künstler direkt im Haus der Eheleute.

Aber auch das Frauenbild befindet sich im Umbruch: Selbstbestimmt und unabhängig zu leben ist ein wichtiges Ziel für viele. Der Alltag im Zusammenleben von Personen, die sich attraktiv und anziehend finden, bereitet der Idylle oft ein schnelles Ende, und zwar dergestalt, dass eben eine neue Person die Szene betritt (betrifft Männer wie Frauen). Passenderweise wird 1932 ein Ratgeber „Muss man sich denn gleich scheiden lassen?“ zum Bestseller.

Die Machtergreifung Hitlers hat enormen Einfluss auf das künstlerische Schaffen. Besonders nach dem Reichstagsbrand  werden Juden aus dem Amt gedrängt, pazifistische Werke verboten, unliebsame Künstler ausgegrenzt und gemieden. Nach 1934 war besonders die deutsche Literatur emigriert, wie Florian Illies schreibt. Die Künstler und ihre Werke im Ausland sind durch Rast- und Heimatlosigkeit gezeichnet. Der Melancholie und dem Schmerz werden oft Alkohol oder Drogen entgegengesetzt. Die Verhältnisse der Protagonisten untereinander werden durch das Exil und die mitunter prekären Situationen jedoch nicht tiefgreifend geändert. Machoverhalten hier, Scheidungen da, Zank und stilles Dulden – die gesamte Skala der Verhaltensweisen wird quasi „exportiert“ nach Südfrankreich, Paris, in die Schweiz und nach Skandinavien. Manche Damen flüchten in die Rolle der Hausfrau, andere wollen ein selbstbestimmtes Leben. 

Wie ungeheuerlich derart erzwungene Fluchten mitten aus dem Alltag heraus sind („aus dem Leben vertrieben“  lautet die treffende Formulierung),  kann durch dieses Buch deutlich nachvollzogen werden. Wenn der rettende Zug ins Ausland in letzter Minute noch erreicht wird, dann aber die Angst vor Entdeckung den Gang auf die Toilette unmöglich macht, so ist das erst der Beginn einer sorgenvollen Zukunft. Die Mitte der 30er Jahre sind noch „die leuchtenden Jahre vor der Verdunkelung“, so schreibt der Autor, denn berühmte Werke entstehen im Exil. Zum Ende des betrachteten Zeitraums, also bei Kriegsbeginn, sind die Emigranten auf dem europäischen Kontinent quasi gezwungen, nach Amerika auszuwandern. Und auch zu diesem Zeitpunkt sind die Reaktionen und Beziehungen untereinander sehr vielfältig. Es gibt die Flucht in neue Liebesverhältnisse und Vergnügungen, Hilfe und Beistand, jedoch auch Resignation und Selbstmord.

Am Ende beherrscht Traurigkeit und Düsternis dieses Buch, das so viele Fakten und neues Wissen bietet. Und gibt es auch ein Fazit über Liebe in Zeiten des Hasses? Kurt Tucholsky beendet sein Leben selbst und am Schluss steht seine Erkenntnis, dass es bei den vielen Frauen, die seinen Lebensweg kreuzten, dann doch die Eine gab: „Hat einen Goldklumpen in der Hand gehabt und sich nach Rechenpfennigen gebückt“. Die Philosophen Hannah Arendt und Heinrich Blücher fanden hingegen in (ihrer) zweiten bzw. (seiner) dritten Ehe zu einer innigen Partnerschaft, ihnen konnte das Exil wenig anhaben. Aber lesen Sie am besten selbst!

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